Titelbild


Frage
Icon
Privat
Icon
Start
Icon
Verlage
Icon
Texte
Icon
Bände
Icon
Reihen
Icon
Extras
Icon
Forum
Icon
Gästebuch
Wiki
Wiki
Impressum
Impressum
Logo Karl-May-Verein

Karl May - Chronik

geschrieben von Rüdiger 
Re: Karl May - Chronik
22. Januar 2006 13:03
Band III liest sich phasenweise wie ein Krimi.

Die beiden (Klara & Karl) haben die Emma ja regelrecht fertig gemacht nach der Scheidung. Das liest sich gar nicht nett. Erst kommt die Klara scheinheilig-vermeintlich großzügig daher, und als das nicht funktioniert, haut sie verbal drauf, daß es an Brutalität und Herzlosigkeit kaum zu überbieten ist. Und er nicht minder, vielleicht etwas kaschierter.

Der Text von Hans Langenhan aus seinen Erinnerungen (S. 230, May ist beschwipst und tätschelt der sich über ihn beugenden Klara den [verlängerten] Rücken, die Gäste blicken diskret weg) liest sich so gar nicht nach weihevollem Streben und dergleichen, ich habe sowieso nie geglaubt, daß May im Alter NUR noch solche Anliegen gehabt hätte.

Schmerzhaft und nahezu masochistisch Marie Hannes (S. 231 unten), aber vielleicht hat es ihr auch [unbewußt] Spaß gemacht, das Opferlamm zu spielen, man kennt dergleichen.

Sehr interessant der Brief von Emmma auf S. 248. Dumm war die Frau auch nicht, daß sie durchaus reflektieren konnte, ist erkennbar. Übel mitgespielt haben sie ihr. Von den dreien war wohl keiner unbedingt besser als der andere.

Zu Silberlöwen-Zeiten will er noch verschiedene Sandsorten, z.B. "Sand des Todes" von "einsamen Wüstenritten" nach Deutschland schicken, um auf diese Weise auf "Böswilligkeiten" von Zeitungsredakteuren zu antworten.

Verblüffend und durchaus auch wieder wohlwollender stimmend sind dann Stellen wie die auf S. 264 oben ("Doch treibe ich gern süße Heimathskunde ...", aufs Jenseits bezogen)

Und völlig zur Seelenverwandtschafts-Erkenntnis zurückführend dann das Schreiben an Felix Krais (S. 260/61), das könnte von mir sein. Es geht um Korrekturen an seinem Text, und um Orthographie. Sehr schön argumentiert, er trifft den Nagel auf den Kopf. Die Stelle ist mir zu lang, um sie hier einzutippen, und im Netz finde ich sie leider nicht, so mögen die Schlußsätze vorerst genügen, vielleicht lasse ich mir die ganze Passage morgen einscannen, Lektorinnen & Lektoren zur bleibenden Erinnerung. Also,für heute erstmal die Schlußzeilen:

"Oder hat sich ein 61jähriger, klar und tief denkender und scharf berechnender Autor denselben Äußerlichkeiten zu fügen, zu welchen man den unerwachsenen Knaben zwingt, um etwas Ordnung in sein Gehirn zu schaffen ?"
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 15:07
Ein paar Notizen beim Weiterlesen in Band IV:

Das Buch macht Lust, auch Band 82 GW wieder vorzunehmen, Amerikareise. - Klara münchhausiasiert wie er selber. ? Prophetische Zettelnotiz ?Diesem schönen Lande wird es ergehn, wie es seinen Bewohnern, der rothen Rasse ergangen ist.? Ob wir das noch erleben werden ? Und dann mit in die Binsen müssen ?

Lorenz Krapp, auch so ein Hauruckianer, dachte ich mir doch gleich, als ich seinerzeit eine Abbildung sah und dies und jenes las; kräftige Bestätigung dieses Vorurteils auf S. 438.

Hinweis auf Spiritismus bei Pfefferkorn (S. 442).

Die Dreistigkeit des jungen, hausbackenen EA Schmid (?fordert [?] May auf? usw., S. 453) verursacht mir bei erneutem Lesen wirklich körperliches Unwohlsein. Dem hätte er mit der Härte gegenübertreten sollen, die er leider dem treuen Fehsenfeld angedeihen ließ. Alter schützt vor Torheit nicht.

An Fehsenfeld schreibt er auch von Testament-Bänden Winnetous und solchen von Kara Ben Halef, die noch geschrieben werden wollten. Erstere, gutgemeint-mißlungen, gibt es ja mittlerweile, letztere harren wohl noch eines phantasievollen Autors.

?BABEL UND BIBEL war weiter nichts als nur ein Knüppel zwischen die Beine meiner Gegner? (S. 461), na, da hat er sich nicht allzu lange Zeit vorher noch ganz anders geäußert. Ich bleibe dabei, Wahrheit war für Karl May zeitlebens sehr dehn- und drehbar.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 16:49
Rüdiger schrieb:
-
> Ich bleibe
> dabei, Wahrheit war für Karl May zeitlebens sehr
> dehn- und drehbar.

Und ich sage, dass man ihn trotzdem nicht unbedingt als "Lügner" bezeichnen kann.

Ich will mal an einem eigenen Beispiel zeigen, wie ich das meine. Das Beispiel passt zwar nicht hierher, aber in die allg "Lügner oder nicht" Diskussion.

Ich bin jetzt in dem Alter, in dem May seine autobiographischen Bücher geschrieben hat. Wenn ich versuche an meine Kindheit und frühe Jugend zu erinnern, so fällt mir z.B. im Zusammenhang mit meinem älteren Bruder folgende Geschichte ein. Wir haben uns sehr häufig und teilweise auch handgreiflich gestritten, und einmal habe ich ihm (sicher versehentlich) ein blaues Auge verpasst. Wenn ich mich jetzt darüber mit meinem Bruder unterhalte (was ich getan habe), so bestreitet er dieses spezielles Ereignis. Genauso sind sicher Ereignisse mit "anderem Ausgang" aus meiner Erinnerung verschwunden. Wenn ich jetzt noch meine Eltern dazu fragen könnte, gäbe es sicherlich noch eine dritte Version dieses Geschehens.
Kann man jetzt, einen von uns beiden (oder dreien) als "Lügner" bezeichnen?
Ich sage nein, weil es eben auch (in der Erinnerung) so etwas wie eine "subjektive" Wahrnehmung der Wahrheit gibt und (leider) stimmt die nicht immer vollständig mit der "objektiven" Wahrheit (falls es sowas überhaupt gibt) überein.

U.a. aus diesem Grund halte ich es für falsch, all diese autobiographischen Bücher Mays, die er (davon bin ich überzeugt) aus der Überzeugung heraus i.w. damit die "Wahrheit" zu sagen, geschrieben hat, als "Lügenmärchen" zu ignorieren.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 17:30
Das meine ich ja auch überhaupt nicht. Aber erst das Drama für der Weisheit letzten Schluß halten und entsprechend anpreisen und dann sagen, wollte ja nur den Gegnern was verpassen, das ist etwas anderes, zumal zwischen 1906 und 1908 etwas weniger Zeit liegt als zwischen Jugend und Ruhestand.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.06 17:32.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 17:42
Ich hatte ja auch geschrieben, dass das Beispiel eigentlich nicht hierher passt.

Aber hierzu:

May hatte sich auf seine neue "Schreibweise" (und insbesondere auf Dramen) kräftig vorbereitet. Man möge sich vorstellen, was es bedeutet, nach über 25 Jahren erfolgreiche Schriftstellerei wieder was Neues zu lernen. Als dies dann kräftig schief ging, hat er sich dann eben Ausredn ersonnen, die dem Mißerfolg doch noch irgendwas positives abgewinnen sollten.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 17:46
Was Du über subjektive Erinnerung schreibst, ist sicher richtig. Und hinzu kommt, dass man Dinge in seinen Erinnerungsschatz aufnimmt, die einem nur erzählt wurden. Das gilt vor allem für Ereignisse aus der frühesten Kindheit, an die man selbst keinerlei persönliche Erinnerungen haben kann.

Aber hiermit kann man auch nicht alles entschuldigend erklären. Es ist durchaus möglich, dass man sich an stattgefundene Ereignisse nicht mehr erinnert und diese deshalb leugnet, oder dass man sich an Details von Erlebtem anders erinnert als ein anderer Augenzeuge (Richter können davon ein Lied singen).

Aber wenn Ereignisse erfunden werden, die gar nicht stattgefunden haben, oder wenn dem Berichterstatter Dokumente vorliegen, die objektiv Gegenteiliges beweisen, dann glaube ich obigen Erklärungsansätzen nicht mehr.

- Karl May wusste sehr genau, dass er am Seminar Kerzen gestohlen hatte. Seine Talgreste sind da einfache Ausflüchte. Mir kann niemand erzählen, dass hier eine Erinnerungstäuschung vorliegt.
- Der barocke Titel des Kräuterbuches ist ebenso wie dasselbe schlichtweg erfunden.
- Karl May führt nur jene Haftstrafen auf, die durch Lebius mittlerweile öffentlich gemacht worden waren. Die Affäre Stollberg wird May aber nicht vergessen haben, zumal die Schmach, dass er die Haft in seiner Heimatstadt absitzen musste. Er hat sie schlichtweg verschwiegen, und nie mehr öffentlich zugegeben, als andere ihm bereits nachgewiesen hatten.
- Karl May ist auch mehrfach vertragsbrüchig geworden. Exklusiv verkaufte Erzählungen hat er unter neuem Pseudonym und anderem Titel woanders hin verkauft. Um seinen Exklusivvertrag mit der Union, der er alle seine Geistesprodukte hätte zuerst anbieten müssen, hat er sich nie gekümmert.
- Karl May hat Manuskripte anderer unterschlagen (Marie Hannes, Franz Langer).
- Nötigung vermag ich in der Ehescheidungsgeschichte zu erkennen
- Zeugenbeeinflussung war ihm auch nicht fremd

Sein Verhältnis zu Wahrheit und Recht war zeitlebens ambivalent, in einem deutlich ausgeprägteren Maße als im Durchschnitt der Menschheit. Natürlich muss man da jeden Einzelfall sehen und separat beurteilen. Mit Erinnerungstäuschungen zu argumentieren, erscheint mir da aber zu simpel und nimmt dem Fall Karl May auch ungerechtfertigter Weise einiges an Faszination.

... meine ich



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.06 17:50.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 18:18
> ... meine ich

Ich auch.

*

Man entdeckt immer neue "nette" Sachen. An Adolf Schriefer schreibt er 1909, unterstrichen und mit nicht weniger als zehn Ausrufezeichen versehen: "Die Rache ist nicht nur gegen die göttliche, sondern auch gegen die menschliche Natur. Sie bringt gradezu Schande vor Gott und den Menschen." (S. 477) Beim Tod von Adalbert Fischers Witwe notierte Klara, ich möchte leider sagen, genüßlich, im Tagebuch: "Alles verkrebst. Man sollte doch niemals an Gottes Gerechtigkeit zweifeln." und ihr Gatte schreibt (in etwa auf dem Niveau des nach eigenen Angaben mit Gebeten Bomben in die ihm genehmere Richtung lenkenden überschätzten Filmschauspielers) "Wie furchtbar hat die Hand Gottes im Lager unserer bittersten Feinde gewüthet". (S. 296)

Puh !

Nee,

Pshaw !
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 18:49
Das mit den Erinnerungen ist so eine Sache. Kennt jemand noch diese Spielzeuggewehre, mit denen man mittels Federdruck einen Pfeil mit Saugnapf vorne dran verschießen konnte? Idealerweise sollte man damit auf Zielscheiben schießen, wo sich die Pfeile festsaugten. Ich hingegen - mit ca. 6 Jahren - schoß einem Freund so ein Ding an den Kopf, daß es tatsächlich an seiner Stirn kleben blieb. Ich sehe es noch vor mir wie einen Schnappschuß, der sich in meiner Erinnerung eingebrannt hat. Der betreffende (und betroffene) Freund erinnert sich nicht die Bohne mehr an meine Untat. Aber es ist passiert. Warum weiß er das nicht mehr, für ihn sollte es doch eigentlich ein eindrückliches Erlebnis gewesen sei? Die einziger Erklärung: Er hat das leichter weggesteckt als ich. Ich habe mir wahrscheinlich jede Menge Vorwürfe gemacht, möglicherweise habe ich auch von irgendwelchen Erwachsenen eine Strafe empfangen, das weiß ich nicht mehr. - Tja, so ist das mit den Erinnerungen.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 19:03
Das ist aber nicht eine Frage des Erinnerns, sondern im Gegenteil eine Frage des Vergessens.

Problematischer wäre das Ganze, wenn Du tatsächlich mit einem Luftgewehr in sein rechtes Auge geschossen und uns nun die verharmloste Variante präsentiert hättest.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 19:05
Tja, meine Erinnerungen lassen sich nicht leugnen: Bei einer Prügelei mit meiner Schwester habe ich ihr mit einer Bürste (Metallborsten in Flugrichtung) auf die Lippe geschlagen. Die Narbe ist heute noch sichtbar und wir beide wissen, wo sie herkommt. Aber heute lachen wir darüber. winking smiley

andrea
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 19:42
Mein Bruder und ich erinnern uns so gut an dieses und jenes, daß wir uns heute noch, oder wieder, über Jahre tunlichst aus dem Weg gehen. Und das ist auch gut so.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 19:46
Ich wiederhole es gerne noch einmal: das Wort Familie ist bei mir in etwa so positiv besetzt wie Schleimbeutelentzündung oder chemisch-biologische Kampfmitteleinsätze, und unter anderem deswegen mag ich auch jedwede Schönfärberei oder Schönrednerei nicht. Auch bei Karl May.

winking smiley



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.06 19:47.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 20:05
Nicht umsonst spricht man ja auch von Familienbande. Ich war immer der Ansicht, Freunde kann man sich aussuchen, Verwandte leider nicht.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 20:20
So ist es. "Ein Mann wie Du bleibt da nicht stehen, wo der Zufall der Geburt ihn hingeworfen" heißt es in "Nathan der Weise" bezüglich Religion. Das gilt, nicht nur in Sachen Religion.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 21:22
Hermesmeier schrieb:
-------------------------------------------------------
> Was Du über subjektive Erinnerung schreibst, ist
> sicher richtig. Und hinzu kommt, dass man Dinge in
> seinen Erinnerungsschatz aufnimmt, die einem nur
> erzählt wurden. Das gilt vor allem für Ereignisse
> aus der frühesten Kindheit, an die man selbst
> keinerlei persönliche Erinnerungen haben kann.
>

Diese Geschichte ist passiert als ich 8 und mein Bruder 10 war, also nicht in frühester Kindheit.
Übrigens verstehe ich mich mit ihm mittelerweile (genauer seit er von zu Hause ausgezogen ist) ausgezeichnet.
>
> - Karl May wusste sehr genau, dass er am Seminar
> Kerzen gestohlen hatte. Seine Talgreste sind da
> einfache Ausflüchte. Mir kann niemand erzählen,
> dass hier eine Erinnerungstäuschung vorliegt.

O doch, was glaubst Du denn, was man sich alles beschönigend so lange einreden kann, bis man selber dran glaubt.

> - Karl May führt nur jene Haftstrafen auf, die
> durch Lebius mittlerweile öffentlich gemacht
> worden waren. Die Affäre Stollberg wird May aber
> nicht vergessen haben, zumal die Schmach, dass er
> die Haft in seiner Heimatstadt absitzen musste. Er
> hat sie schlichtweg verschwiegen, und nie mehr
> öffentlich zugegeben, als andere ihm bereits
> nachgewiesen hatten.

Fast richtig, in "Frau Pollmer" hat er eine (allerdings leicht zu überlesende) Anspielung gemacht, dass er etwas ausbaden musste, woran der alte Pollmer schuld sei, und was eigentlich dessen Angelegenheit gewesen wäre.

> - Karl May ist auch mehrfach vertragsbrüchig
> geworden. Exklusiv verkaufte Erzählungen hat er
> unter neuem Pseudonym und anderem Titel woanders
> hin verkauft.

Und wieviele andere Schriftsteller haben das ebenfalls gemacht, weil sie auch von irgendwas leben mussten? Und wie die Bezahlung bei May damals war, habe ich an anderer Stelle schon mal geschrieben.

>
> Sein Verhältnis zu Wahrheit und Recht war
> zeitlebens ambivalent, in einem deutlich
> ausgeprägteren Maße als im Durchschnitt der
> Menschheit. Natürlich muss man da jeden Einzelfall
> sehen und separat beurteilen. Mit
> Erinnerungstäuschungen zu argumentieren, erscheint
> mir da aber zu simpel und nimmt dem Fall Karl May
> auch ungerechtfertigter Weise einiges an
> Faszination.
>
> ... meine ich

Und warum wirft man dies hauptsächlich Karl May vor, und untersucht nicht die Autobiographien aller anderen Dichter und Schriftsteller, inwieweit die sich an die Wahrheit gehalten haben?
Ich vermute eher, dass dabei May eher im Durchschnitt der "Wahrheitstreue" liegt.

Helmut

PS.: Schade, dass mir niemand mit dem Begriff der "subjektiven Wahrheit" folgen will. Ich glaube, dass sich für ein Großteil dieser Dinge kein objektives "wahr" oder "falsch" mehr finden wird, sondern höchstens ein "intersubjektives"
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 21:34
In Bezug auf subjektive Wahrheit folge ich Dir durchaus, lieber Helmut. Ich schrieb schon mal an anderer Stelle, daß ich bestimmten Leuten gegenüber schon mal gerne Reiseabenteuer aus Spaß an der Freud' ausgeschmückt habe und nach einiger Zeit mich selbst zur Ordnung rufen mußte, weil ich langsam meine eigenen Übertreibungen selber anfing zu glauben.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 21:45
Hallo Helmut!

Quote

Diese Geschichte ist passiert als ich 8 und mein Bruder 10 war, also nicht in frühester Kindheit.

Das ist ja auch keine Geschichte des Erinnerns, sondern eine des Vergessens, bei Deinem Bruder.

Quote

Quote

- Karl May wusste sehr genau, dass er am Seminar Kerzen gestohlen hatte. Seine Talgreste sind da einfache Ausflüchte. Mir kann niemand erzählen, dass hier eine Erinnerungstäuschung vorliegt.

O doch, was glaubst Du denn, was man sich alles beschönigend so lange einreden kann, bis man selber dran glaubt.

O nein, auch Du wirst mir das in diesem Fall nicht einreden. Verdrängen hätte geheißen, den ganzen Fall zu vergessen, nicht aber so ein Detail. Weshalb wohl hat May das überhaupt in der Selbstbiografie erwähnt? Weil Lebius der Sache längst auf die Spur gekommen war.


Quote

Quote

- Karl May führt nur jene Haftstrafen auf, die durch Lebius mittlerweile öffentlich gemacht worden waren. Die Affäre Stollberg wird May aber nicht vergessen haben, zumal die Schmach, dass er die Haft in seiner Heimatstadt absitzen musste. Er hat sie schlichtweg verschwiegen, und nie mehr öffentlich zugegeben, als andere ihm bereits nachgewiesen hatten.

Fast richtig, in "Frau Pollmer" hat er eine (allerdings leicht zu überlesende) Anspielung gemacht, dass er etwas ausbaden musste, woran der alte Pollmer schuld sei, und was eigentlich dessen Angelegenheit gewesen wäre.

Die Studie hat er aber nicht veröffentlicht, und sie sollte nach seinem Willen auch nicht veröffentlicht werden. Immerhin aber lieferst Du jetzt selbst einen Beweis dafür, dass May die Affäre Stollberg nicht einfach nur vergessen hätte und sie deshalb nicht in die Selbstbiografie aufnahm. Diese Affäre hätte zum Vorwurf des literarischen Hochstaplers wie die Faust aufs Auge gepasst.


Quote

Quote

- Karl May ist auch mehrfach vertragsbrüchig geworden. Exklusiv verkaufte Erzählungen hat er unter neuem Pseudonym und anderem Titel woanders hin verkauft.

Und wieviele andere Schriftsteller haben das ebenfalls gemacht, weil sie auch von irgendwas leben mussten? Und wie die Bezahlung bei May damals war, habe ich an anderer Stelle schon mal geschrieben.

Dass andere Schriftsteller das auch gemacht haben könnten, ist erstens nicht nachgewiesen und zweitens auch nicht wichtig. Einen Autodiebstahl kann man auch nicht dadurch rechtfertigen, dass er täglich tausendfach vorkommt. Die Bezahlung war schlecht. Jo mei. Des kommt halt vor. Zum Vertragsabschluss gehören immer zwei.


Quote

Und warum wirft man dies hauptsächlich Karl May vor, und untersucht nicht die Autobiographien aller anderen Dichter und Schriftsteller, inwieweit die sich an die Wahrheit gehalten haben?

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Jede Lebenserfahrung sagt einem, dass nirgendwo soviel gelogen, verbogen, beschönigt, verschwiegen wird wie in Selbstbiographien. Das ist naturgegeben. Die Frage müsste eigentlich lauten: Wieso wird es ausgerechnet bei Karl May übel genommen, wenn Selbstaussagen kritisch hinterfragt werden?

Gruß
Wolfgang



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.06 22:13.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 22:09
Hermesmeier schrieb:
-------------------------------------------------------
>
> Umgekehrt wird ein Schuh draus. Jede
> Lebenserfahrung sagt einem, dass nirgendwo soviel
> gelogen, verbogen, beschönigt, verschwiegen wird
> wie in Selbstbiographien. Das ist naturgegeben.
> Die Frage müsste eigentlich lauten: Wieso wird es
> ausgerechnet bei Karl May übel genommen, wenn
> Selbstaussagen kritisch hinterfragt werden?
>
Das ist wirklich eine interessante Frage. Ich denke, es hat etwas mit Liebe zu tun. May ist bei den meisten, die sich mit ihm beschäftigen, ein Objekt der Verehrung zumindest in der frühen Jugend gewesen. Er ist kein Autor, den man mit sagen wir mal 20 entdeckt hat, weil er einem intellektuelles Vergnügen bereitet wie beispielsweise mir Arno Schmidt. Daß dieser privat ein absoluter Stinkstiefel gewesen sein muß, ist mir bekannt, interessiert mich aber nur am Rande und mindert meine Wertschätzung nicht. Das ganze ist auf jeden Fall ein psychologisches, kein literaturwissenschaftliches Phänomen. Außerdem nimmt nun wirklich nicht jeder May-Freund das Hinterfragen seiner Selbstaussagen übel. Ich selbst mag den Mann nach wie vor, nehme es aber niemandem übel, wenn dieser Mays Worte auf die Goldwage legt. Ich tu es ja auch.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 22:20
Der Witz ist ja auch, daß das eine das andere überhaupt nicht ausschließt. Bei der Chronik könnte ich ihm manchmal sozusagen einen Vogel zeigen, bei "Schamah", was ich vor ein paar Tagen frisch gelesen habe (siehe Rezension), ist mir das Herz wieder sperrangelweit aufgegangen.

*

Noch etwas hübsches aus der Chronik, Band IV, S. 477, da heißt es "genügt Ihnen mein Gottvertrauen und mein guter Wille, im Leide, welches man zu tragen hat, still zu sein ?" Nachdem man schon ein ganzes Buch lang Selbstbemitleidungsarien aller Art zur geflissentlichen Kenntnis nehmen mußte und es im gleichen Brief noch wörtlich "Sorgen über Sorgen", "Qual über Qual" hieß. Als das dann kam mit still sein im Leide, da habe ich wirklich sozusagen innerlich aufgelacht. Hätte ich auch früher nie gedacht, daß ich Karl May noch mal so kritisch sehen würde.
Re: Karl May - Chronik
12. Februar 2006 23:37
Ich habe nicht und will auch nicht behaupten, dass May in seinen autobiographischen Büchern die objektive Wahrheit (falls es sowas immer gibt, will ich hier nochmals wiederholen) geschrieben hat.
Ich meine nur nach wie vor, dass er in diesen Büchern größtenteils das schrieb, was er zu diesem Zeitpunkt für wahr hielt.
Er war m.E. eben ein wesentlich komplexerer Mensch, als das man ihn so einfach als "Lügner" abqualifizieren könnte.

Meiner Freude an den May-Büchern stören übrigens evtl. negative Charaktereigenschaften Mays ebensowenig, wie es meiner Freude an der Musik stört, dass Mozart wahrscheinlich zeit seines Lebens ein "Kindskopf" war, oder das Beethoven ein unverträglicher Griesgram war, oder Schubert sich im Bordell die Syphilis geholt hat, oder Tschaikowsky schwul war. Ich will da allerdings nicht ganz so weit gehen wie Reich-Ranicki, der einmal sagte, dass es Ihm egal sei wieviel antisemitische Schriften Wagner verfasst hat, wenn er nur "Tristan und Isolde" komponiert hat.

Helmut
In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicken Sie hier, um sich einzuloggen