»(...) Ich habe ja das Buch
Excursion au Rio Salado et dans le Chaco, par Amédée Jacques gelesen.«
»Ich kenne dieses Buch nicht und brauche es nicht zu kennen, denn ich weiß, daß das Lesen eines Buches einen Menschen, selbst den gelehrtesten, noch lange nicht befähigt, die Entbehrungen und Gefahren zu bestehen, welche Ihrer warten. (...)«
(Das Vermächtnis des Inka,
auch in KMV-Fassung :-)
Wenn Dr. Morgenstern ? und mittels dieser Figur natürlich auch Karl May selber ? hier besonders belesen erscheint, da er scheinbar ein französisches Buch im Original gelesen hat, so ist dieser Eindruck falsch. Tatsächlich hat Burmeister in seinem Buch einen hauptsächlich auf Jacques Bericht basierenden Einschub über den Rio Salado untergebracht. May brauchte sich also nicht etwa direkt beim Franzosen bedienen, sondern fand dessen Eindrücke fix und fertig übersetzt vor. Burmeister liefert freilich keine wörtliche Übersetzung, sondern eine Überarbeitung von Jacques Bericht:
(...) unterhalb El Brancho tritt er [= der
Rio Salado] in eine sumpfige Niederung, welche sich weithin ausbreitet und das eigentliche Flußbett unkenntlich macht. Hier und insbesondere weiter abwärts, unter der sumpfigen Gegend, die bis
Sandia-Paso reicht, werden die Ufer unsicher, wegen räuberischer Anfälle der Inder von
Gran Chaco, der Gouverneur
Taboado bot deshalb die ganze bewaffnete Macht der Hauptstadt auf zu Begleitung der reisenden und beorderte als Sammelplatz
El Brancho, von wo aus abwärts die Truppen neben dem Boot herziehen sollten. Dieser Landexpedition schloß sich
Hr. Amadée Jacques, gegenwärtig Director das Collegio in Tucuman, an, und ihm verdanken wir eine lebendige Schilderung seiner Erlebnisse auf dieser zugleich als Razzia gegen die Indier angelegten Expedition. Ich entnehme dem Bericht des mir persönlich befreundeten Gelehrten die nachstehenden, durch einige weitere Angaben von
Page und
Murdaugh ergänzten Mittheilungen *). ? [S.24/25]
*)
Excursion au Rio Salado et dans le Chaco, par Amédée Jacques. Paris 1857. 8. (Extr. D. I. Revue de Paris 1 & 15 Mars 1857.) Petermann? s
geogr. Mitth. 1856. S 229 ? In Beug auf die Berichte von Page
und Murdaugh
verweise ich auf Petermann? s
geogr. Mitth. 1857. S 404
Vermächtnis »Wir müssen heut noch bis Fort Tio kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Falle können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!«
Während die Laguna (de los) Porongos ein reales - und noch dazu ziemlich großes - Gewässer ist, könnte Fort Tio eine Erfindung Mays sein. Die Beschreibung desselben entlehnt er jedenfalls der Darstellung von Jacques eines wesentlich weiter nördlich am Mittellauf des Rio Salado gelegenen Forts in Brancho:
Burmeister: In
Brancho befindet sich ein kleines Fort, mit einer Kanone und zehn Mann Besatzung, zur Vertheidigung gegen die Indier; ein Wall kräftiger Pallisaden umgiebt ein Viereck, mit Graben und lebendigem Cactuszaun, an dessen einer Seite, nach Osten, auf hoher Unterlage von Erde, die Kanone steht, mehr als Signal von Wichtigkeit, zur Warnung der benachbarten Bevölkerung, als zur Vertheidigung; da die Indier nie einen Kampf in der Nähe Mann gegen Mann wagen, sondern nur aus der ferne hinter Verstecken den Gegner zu erlegen suchen, oder den einzelnen in Masse überfallen. Jeder Soldat besitzt innerhalb der Befestigung einen Rancho, und um dieselbe hat sich bereits eine ansehnliche Bevölkerung gesammelt, die hier, in der Nähe des Waffenplatzes; vor der Ueberrumpelung der Indier sich sicher glaubt.
[S. 26]
Daraus macht May dann: Unter einem Fort an der argentinischen Indianergrenze darf man sich nicht das denken, was man hier bei uns unter einem Fort versteht. Fort Tio bestand aus einer von dichten, stachelichten Kaktushecken eingefriedigten Fläche, welche von einem Graben umgeben war. Auf dieser Fläche standen einige Ranchos, in denen jetzt wohl zwanzig Soldaten lagen, deren Kommandeur ein Lieutenant war. Der Eingang stand weit offen. Als die drei Männer hineinritten, kam ihnen dieser Lieutenant entgegen. (...)
Die Soldaten besaßen Pferde und Rinder, welche sie am Tage im Freien weiden ließen und abends in das Innere des Forts trieben. Die Rinder gehörten mit zur Verproviantierung des Ortes.
Im Gespräch Dr. Morgensterns mit dem Offizier von Fort Tio wird dann eine besonders geheimnisvolle und gefährliche Gegend erwähnt: »(...) Jenseits des Rio Salado kommen Sie in
Montes impenetrabiles sin agua, in die undurchdringlichen und wasserlosen Waldungen. (...)«
Burmeister erwähnt hingegen nur den undurchdringlichen Gran Chaco [S. 23]
, die Montes impenetrabiles sin agua
, die lediglich das westliche Grenzgebiet des Chaco darstellen, dagegen nicht. Dafür aber sind diese Montes auf der dem 2. Band beigefügten Karte (siehe am ende des Eintrages) verzeichnet, dort dann auch tatsächlich mit dem Zusatz undurchdringliche Waldung
. Karl May setzte dieser Translation noch ein wohl eigenmächtig übersetztes wasserlos
hinzu.
Burmeister erwähnt den Gran Chaco auch kurz in der Schrift, Die Südamerikanischen Republiken Argentina, Chile, Paraguay und Uruguay, 1875?, dem ?Ergänzungsheft No. 39 zu Petermann?s ?Geogarphischen Mittheilungen?, aus dem auch der im ersten Beitrag des Threads eingefügte Kartemausschnitt stammt. Dort geht Burmeister dann auch explizit auf die Wasserarmut dieses Landstriches ein: Neben ihr [= der Sierra Lumbrera] beginnt nach Süden die waldige, aber trockene Ebene des Gran Chaco, welche fortan den Rio Panará bis in der Nähe der Rio Salado-Mündung begleitet. Zwischen ihr und der des Rio Vermejo erhält der Paraná keinen größeren Zufluss, das ganze Land zwischen beiden ist wasserarm und darum bis jetzt der Europäischen Ansiedlung unzugänglich geblieben.
Karl May dürfte freilich diese neuere Abhandlung Burmeisters bei der Niederschrift des ?Vermächtnis des Inka? nicht zur Verfügung gestanden haben. Bei drei weiteren, dabei jeweils nur im Singular gesetzten Erwähnungen des Monte impenetrabile
hat May dann übrigens auf den Zusatz sin agua
und also auch auf eine deutsche Übersetzung desselben verzichtete:]
Vermächtnis (Anfang: El Hijo del Inka/): Ungefähr zwanzig Kilometer im Norden von der Stelle, an welcher sich das soeben Erzählte ereignete, liegt jenseits des Rio Salado die Laguna Tostado. Der schon erwähnte
Monte impenetrabile, d.i. undurchdringliche Wald, schickt seine Ausläufer bis an das Ufer der Lagune.
Cordilleren: (...) am nächsten Tage gab es Urwald, aber nicht den undurchdringlichen Urwald des Monte impenetrabile, sondern lichten, gut passierbaren Wald, dessen Stämme weit auseinander standen.
Cordilleren: In ihrer Nähe und in derjenigen der Flüsse giebt es Waldungen, welche kaum zu durchdringen sind. Der spanisch sprechende Einwohner nennt sie Monte impenetrabile, undurchdringlichen Wald.
Doch zurück zu dem Gespräch mit dem Offizier. Darin werden auch kurz die Gefahren erwähnt, die durch die Indianer ausgehen: »(...) Wir müssen ihnen [= den Indianern] zu bestimmten Zeiten einen Tribut - wir nennen es freilich Geschenk - an Pferden, Rindern und Schafen geben, damit sie unsre Herden nicht lichten und uns unsre Tiere nicht stehlen. Dennoch kommen sie häufig über die Grenze, und treiben uns das Vieh zu Hunderten von Stücken weg. Dabei nehmen sie auch Menschen gefangen und schaffen sie nach dem Chaco, um sie nur gegen Geld freizugeben. Sie kommen dann ganz offen in unsre Städte und zu unsern Behörden, um das Lösegeld zu fordern.« - »So gebt es ihnen nicht, sondern bestraft sie!« - »Das geht nicht, Señor. Würden wir einen solchen Boten von ihnen züchtigen, so wären die weißen Gefangenen, um welche es sich handelt, verloren. Wie nun, wenn Sie auch von ihnen festgenommen werden?«
Karl May hat hier nur angedeutet, was bei Burmeister & Jacques einen relativ breiten Raum einnimmt. Die Indier ? wie sie von Burmeister genannt werden ? werden dabei allesamt als gewissenlose Räuber, Mörder und Entführer dargestellt: Jacques theilt am Ende seines Aufsatzes authentische Actenstücke mit, aus denen hervorgeht, daß im Verlaufe von anderthalb Jahren, von April 1854 bis August 1855, allein aus der Provinz Santiajo del Estero 66 Personen von den Indiern getödtet und 47 geraubt worden sind. (...) ich selbst habe bei der Ankunft von Mendoza, den 12. Mai auf der Station Barancas, eine Bande Indianer, 10 Köpfe stark, getroffen, welche 7 geraubte Frauenzimmer bei sich hatten und damit nach Rozario zogen, um sie in Geld umzusetzen. Die Centralregierung kauft nämlich diese gefangenen den Indiern ab, um sie ihren Familien oder, wo die nicht mehr existiren, einer besseren Lebensweise zurückzugeben; aber dies Verfahren macht die Indier nur noch raublustiger, weil es ein leichtes Mittel ist, Geld zu beschaffen. ? Die Regierung sollte die Indier festnehmen und todtschießen lassen; das wäre besser, als ihnen ihre Schandthaten noch mit Geld zu bezahlen: Von zeit zu Zeit werden immer wieder Verträge mit denselben geschlossen, um diese menschen durch glimpfliche Behandlung zu einem friedlichen Verkehr zu veranlassen; man liefert ihnen Vieh, Kleidungsstücke und Geräthschaften, damit sie Ackerbau treiben und an feste Wohnsitze und erworbenes Eigenthum sich gewöhnen; aber das hilft stets nur auf kurze zeit; bald haben sie die erhaltenen Gegenstände verbraucht und kommen wieder um neue Forderungen zu stellen, und neue Gaben der Gutmüthigkeit oder der Schwäche zu ertrotzen.
Leider ist es auch so, daß der auf paläontologischen Gebiet sicher verdienstvolle Burmeister sich dann in völlig inakzeptabeler Weise gegenüber den Ureinwohnern äußert. Zunächst wirft er den Indiern vor, daß daß sie sich nicht von dem Grundgedanken los machen, daß die Gegnstände statt Einzelnen Allen gehören, und jedesmal demjenigen als Eigenthum zu Gebote stehen, der danach greifen und sie sich aneignen könne.
Das die Europäer dies selber im großen Stil betreiben, indem sie das Land für sich beanspruchen und den Indianer wegnehmen, scheint Burmeister dabei freilich keine moralischen Kopfschmerzen zu machen. Ansonsten dürfte er nicht nur den Indianen allein vorwerfen, daß diese auf der tiefsten Stufe der menschlichen Gesellschaft stehen und nie auf eine andere kommen werden, weil sie den Werth der Gesellschaft wirklich nicht begreifen wollen.
Schließlich zeigt sich Burmeister gar als Verfechter eines Völkermordes: Gegen die Indier giebt es nur ein Mittel, ihre Vernichtung; - man soll sich nicht mit philantropischen Gedanken gegen Leute herumtragen, die davon keinen Begriff haben, sondern alle Nachgiebigkeit für Schwäche auslegen, man soll sie ausrotten und eine bessere Nationalität an ihre Stelle setzen.
Wenn man derartigen rassistischen Müll liest, wird man mal wieder daran erinnert, daß die Deutschen von den Nazis und ihre Ideologie nicht wie durch eine ungewollte Epidemie angesteckt wurden, sondern daß derartige abartige Ideologien schon lange Zeit in der Mitte der Gesellschaft geschwelt und gezündelt haben.
Doch reiten wir weiter durch die Pampa:
Vermächtnis: Bald wurde das Gras saftiger und der Boden weicher als bisher. Im Norden zeigten sich einzelne Bäume, ein sicheres Zeichen, daß man sich an der Laguna Porongos befand. Dieser Name bedeutet soviel wie See oder Sumpf der wilden Zitronenbäume, und solche Bäume waren es, welche man jetzt vor sich hatte. Die Sonne stieg eben hinter dem Horizonte hinab, als die drei Reiter das Wasser der Laguna vor sich glänzen sahen.
Für die wilden Zitronenbäume habe ich bislang keinen Burmeister-Quelltext gesichtet, möglicherweise hat May hier auch selber eigenmächtig und falsch übersetzt, denn einer Internetsuche nach handelt es sich bei Porongos wohl eher um eine Kürbisart bzw. den daraus hergestellten Trinkgefäßen.
Vermächtnis: Die Reiter befanden sich auf der östlichen Seite der Laguna, in welche von Osten her der Rio Dulce fließt. Dieser Name wurde dem Flusse gegeben, weil er ein wohlschmeckendes, süßes Wasser führt. Nachdem er aber durch die Salzwüste geflossen ist, hat er so viel Salz angenommen, daß sein Wasser im untern Teile seines Laufes ungenießbar geworden ist.
Hier findet sich ein entsprechender Quelltext Burmeisters erst im mittleren Teil des 2. Bandes: (...) Rio Dulce: Er ist zugleich die Grenze zwischen der Provinz
Tucuman und der von
Santiago del Estero bis dahin, wo er wieder nach Süden sich wendet und in dieser Richtung die letztere Provinz bis gegen
Santa Fe hin durchströmt, hier in die große
Laguna de los Porongos sich ergießend. Diese untere Strecke nennt man
Rio Saladillo, weil das Wasser des Flußes, durch Auslaugung des salzreichen Bodens, einen schwach salzigen Beigeschmack bekommt.
Allerdings könnte man diese Aussage z.B. auch aus der Karte oder Lexikonartikeln gewinnen: Rio Dolce (Rio Dulce), Fluß in der Argentinischen Konföderativn, entspringt im Staate Tucuman, am Ostabhang des Andeshochlandes, fließt südöstlich und verliert sich nach einem Laufe von 590 km in der Salzlagune de los Porongos. [Meyers Komnversationslexikon, 4. Auflage 1888-1889]
In der HKA ? sowohl in der Buch- wie auch der CD-Rom-Ausgabe ? liest man nachfolgend im Text dann einen dicken Lapsus. Da heißt es: Diesen zu Rate ziehend, sah er, daß die Fährte eine immer mehr örtliche Richtung nahm. Sie lief nicht mehr nach Nordost, sondern schon nach Ostnordost.
Statt örtlich
müßte da natürlich östlich
stehen.
Nun folgen drei ?Pasos?, die May wiederum jeweils nur von der Karte abgelesen hat, denn obgleich diese am unteren Laufe des Rio Salado gelegen sind, werden sie weder von Burmeister noch seinen Gewährsmänner Jacques & Co. erwähnt: »Wenn ich mich nicht irre, so reiten wir auf diejenige Gegend des Rio Salado los, in welcher Paso de las Cañas oder gar Paso Quebracho liegt.«
Auch den nächsten Wald hat May lediglich auf der Karte gefunden: »Auf diese Weise kommen wir nach dem Monte de los palos Negros, und von dieser Waldung habe ich gehört, daß sie fast undurchdringlich ist. Hätten wir uns vorher mehr links gehalten, so würden wir bis zum Rio Salado und noch darüber hinaus stets freies, offenes Land haben.«
Tatsächlich offenbart die Karte nordöstlich des Rio Salado eine waldfreie Lücke zwischen dem ?Monte impenetrabile sin agua? und dem weiter südwestlich gelegenen ?Monte del Lobo?. Der ?Monte de los palos Negros? liegt nun dieser Lücke vis-á-vis südlich des Rio Salado. Will man ?waldfrei? zu dieser Lücke gelangen, so muß man dieses letztgenannte Waldgebiet westlich oder östlich umgehen.
Die nächste von Jacques bzw. Burmeister übernommene Textpassage ist die zweite von Kosciuszko notierte Stelle (Stichwort: Dichter Wald):
Vermächtnis (
in: Ein Pamparitt): Der Wald war sehr dicht. Er bestand hier an dieser Stelle aus Quebrachos, hohem Kaktus, Mistol, Chañars, Vinals und andern Leguminosen. Zwischen den ersten Bäumen drang ein Quell aus dem Boden und floß vielleicht zehn Ellen weit in eine Vertiefung, wo er einen kleinen, hellen Weiher bildete.
Burmeister: Die Gegend von Matará nach Gramilla und Brancho ist waldig, der Wald besteht aus Quebrachos, hohen Caktus, Mistol, Chañars, Vinals und andern Leguminosen und versteckt den Fluß, wenn man zu Lande reist , vollständig; er gewährt stellenweis einen schönen, wenigstens malerischen Anblick, wenn die hohen Cactus halb mit Schlingpflanzen bewuchert sind und die großen Nester der
Lecheguahna (eine Art Chartergus) daran hängen. [S. 26]
Übrigens hatte sich May dieser Textstelle schon für Sendador II/Cordilleren bedient, hier übernahm er gar noch den Nebensatz mit dem Anblick
, denSchlingpflanzen
und den Vogelnester
Burmeister: Die Wälder, durch welche oder an denen wir vorüber kamen, bestanden meist aus Quebrachos, Mistols, Vinals, Channars und sehr hohem Kaktus. Einen schönen Anblick gewährte es, wenn diese Bäume von Schlingpflanzen überwuchert waren, in denen zahlreiche Vogelnester hingen.
[Ausschnitt aus der dem 2. Band von Burmeisters ?Reise durch die La Plata-Staaten? beigefügten Karte. Diese ist ? wie auch die in der obigen Santa-Fe-Vergleichlesung - freilich nur für eingeloggte User, nicht aber für Besucher sichtbar]
Mit den Eintritt in den Grand Chaco verläßt May nun das damals erforschte Gebiet. Die zeitgenössischen Karten zeigen hier größtenteils weiße Flächen. Und so ist es ein Leichtes für May, diese Gegenden mit selbsterfundenen Orten und Geländeprofilen zu bereichern, lediglich die Laguna honda
ist echt:
»Ja. Es war ein See, Lago de los Carandayes, also Palmensee jeheißen. (...) [Und] Es waren lauter Quellen, vier Stück (...) Die erste war die Fuente de los pescados, die zweite die Fuente de las sanguijuelas, die dritte die Fuente de los crocodilos und die vierte die Fuente gemela.« (...)
»Sie selbst kennen eine von diesen Quellen. Sie haben da, wo Sie nach der Schildkröte gruben, viel Fische gefangen. Sie waren an der Fuente de los pescados, an der Fischquelle. Die zweite liegt jenseits des Waldes in der Nähe des Lago honda; das Bassin, in welches sie fließt, ist voller Blutegel; daher ihr Name. Die dritte fließt am Ende der undurchdringlichen Waldung in eine Sumpflagune, welche voller Krokodile ist, und die vierte besteht aus zwei Einzelquellen, welche sich bald nach ihrem Austritte vereinigen, daher der Name Zwillingsquelle. Jede dieser Quellen ist von der andern anderthalb Pferdetagereisen entfernt, und sie liegen in einer schnurgeraden Linie. Wenn man diese Linie nach Nordwest verlängert, muß man unbedingt an den Palmensee kommen (...)«
Außerdem läßt sich May noch von der westöstlichen Kette der verlassenen Ansiedelungen
inspirieren, die auf der Karten inmitten des Gran Chaco zu sehen ist. In einer derartigen, der frei erfundenen Ansiedelung der Niedermetzelung,
suchen Vater Jaguar und seine Gefährten Schutz vor einem Unwetter: »(...) Wir werden reiten, und wenn wir uns beeilen, werden wir uns noch vor dem Ausbruche des Hurricans in Sicherheit befinden.« - »Wo soll unser Zufluchtsort sein?« - »Im Asiento de la mortandad.« - »Welch ein schlimmer Name. Ich habe ihn noch nie gehört, weil ich in dieser Gegend noch nicht über die Zwillingsquelle hinausgekommen bin. (...)«
May erklärt dann noch weiter: Solche Ansiedelungen hat es im Gran Chaco früher viele gegeben. Man stößt noch heutigen Tages auf die Trümmer derselben. Die Weißen kamen in das Land der Roten, setzten sich in demselben fest und benahmen sich als rechtmäßige Eigentümer, ohne an die Zahlung eines Kaufpreises oder an sonst eine Entschädigung zu denken.
Diese "Ansiedelungen" werden übrigens wie auch der Rio Salada auch im Roman El Sendador II/In den Cordilleren thematisiert:
»Jenseits des Parana, zwischen dem Rio Salado und dem obern Laufe des Rio Vivoras.«
»Giebt es dort nicht eine Reihe verlassener Ansiedelungen?«
»Ja. Es waren vor langer, langer Zeit Weiße eingewandert, welche sich aber nicht halten konnten - der - der - Indianer wegen, die sich feindlich gegen sie verhielten. Die Weißen haben fortgemußt, und ihre Häuser sind zerfallen. Jetzt kommen abermals welche, um uns aus unserm Reviere zu vertreiben. Sollen wir gehen, ohne uns gewehrt zu haben?«
»Was wollen diese Leute dort? Es giebt doch anderwärts Land genug, welches bequemer liegt und weit fruchtbarer ist. Warum ziehen sie gerade jene Gegend vor, welche zu dem wilden Gran Chaco gehört?«
»Dasselbe sagen und fragen auch wir. Es giebt so viel Platz, daß man uns in Ruhe lassen kann.«
»Was für Leute sind denn diejenigen, von denen Sie sprechen?«
»Sie sind teils aus Buenos Ayres herauf- und aus Corrientes heruntergekommen. Ihre Anführer sind ein nordamerikanischer Ingenieur und der Bevollmächtigte eines Bankiers in Buenos. Sie wollen den Rio Salado tiefer und breiter machen, damit Dampfer denselben befahren können. Ist das geschehen, so wollen sie in dem dichten Walde, welcher sich weit, weit am linken Ufer des Flusses hinzieht, Bäume fällen und Yerba1 sammeln lassen, um beides auf dem Salado in den Parana gehen zu lassen und sich viel Geld zu verdienen.«
Tatsächlich dreht sich das ganze Rio-Salado-Kapitel von Burmeister, aus dem hier hauptsächlich zitiert wird, um die zentrale Frage, ob und wie der Fluß schiffbar gemacht werden könnte. Dabei ist die Wirklichkeit gar nicht so weit entfernt von Mays nordamerikanischen Ingenieur und dem Bevollmächtigten eines Bankiers in Buenos Ayres
gewesen: Aber [Don Estevan] Rams [ein in der Hauptstadt Paraná ansässiger reicher Kaufmann und Grundbesitzer] gab nicht nach, Er machte stets neue Versuche und engagierte endlich den Staats-Ingenieur von Buenos Aires, Hrn. Coghlan, zu einer eigenen ganz genauen Untersuchung des Flusses, welche das Endergebniß seiner Unternehmung feststellen sollte. Hierüber gab er einen öffentlichen, von einer Charte das Rio Salado begleiteten Bericht heraus und sandte verschiedene Agenten ins Land, eine Actiengesellschaft zu bilden, um mit deren Hülfe die sichere Schiffbarmachung des Flusses zu bewerkstelligen. [S. 35]
May geht in seinem Roman Sendador II/ Cordilleren dann nochmals auf diese Schiffbarkeits-Thematik ein: Die Absicht, in welcher diese Expedition unternommen wurde, war keineswegs eine neue. Schon früher hatten Nordamerikaner und auch andere den Rio Salado befahren, um zu begutachten, ob derselbe besser schiffbar zu machen sei. Es waren bedeutende Summen auf diese Untersuchung verwendet worden, doch hatte man stets nur ein negatives Resultat erzielt. Ob der Erfolg jetzt ein besserer sein werde, war wenigstens zu bezweifeln.
Dazu sei zum Vergleich exemplarisch der Anfang und das Ende von Burmeisters Bericht zitiert: Den ersten Versuch, den Rio Salado zu befahren, machte, im Auftrage seiner Regierung, der Nord-Amerikanische See-Officier Lieutnant Page im Jahre 1855 auf einem Dampfboot (...) [S. 23] - sowie: (...) ? ich glaube nicht, daß die Beschiffung des Rio Salado jemals zu einem regelmäßigen und unbehinderten Verkehrswege sich gestalten werde. ? [S. 41]
Im Gegensatz zum Vermächtnis übernahm May in Sendador II/Cordilleren sogar von Burmeisters Karte die Namen aller verlassenen Ansiedelungen:
»(...) Können Sie uns die Ansiedelungen beschreiben?«
»Sehr leicht. In diesen Gegenden baut einer wie der andere, und sodann hat die Natur alles gethan, sie einander ähnlich zu machen, indem sie alles mit Pflanzen überwucherte.«
»Also sind die Häuser unbewohnbar geworden?«
»Vollständig; sie sind zerfallen. In Zeit von einigen Jahren ist alles verfault und zerbröckelt, und die Schlingpflanzen legen ihre dicke Decke darüber hin.«
»Hatten diese Ansiedelungen ihre bestimmten Namen?«
»Das versteht sich ja von selbst. Man läßt hier keinen einzelnen Rancho ohne Namen, viel weniger aber eine ganze Siedelung. Sie lagen nicht weit voneinander in der Nähe des Lago Honda und hießen, glaube ich, Pozo de Sixto, Pozo de Quinti, Pozo de Campi, Pozo Olumpa und Pozo Antonio. Es sind noch andere da, deren Namen ich aber vergessen habe. Es ist ein ganz eigenartiger Eindruck, den so ein verlassener und von blühenden Schlinggewächsen überwucherter Ort auf den Menschen macht. Man meint, vor einem riesenhaften Grabe zu stehen, und trotz des Duftes, welcher den Blumen entströmt, hat man den Geruch von Fäulnis und Moder in der Nase. Warum die Glieder der Expedition gerade dorthin wollen, das kann ich nicht begreifen.
Einen der Orte erreichen Charley und seine Gefährten dann auch:
Wir waren den Wagenspuren gefolgt und gelangten nun an den Ort, wo die Leute gehalten hatten. Wir sahen die Spuren zerfallener Bauwerke, welche die Zeit in einen dichten Ueberzug von Schlingpflanzen gehüllt hatte. Dicht belaubte Bäume neigten ihre Wipfel darüber. Zur Seite erblickten wir die Spuren einiger Felder, welche aber so verwildert waren, daß ein scharfes Auge dazu gehörte, zu erkennen, daß hier einst der Spaten in Gebrauch gewesen sei. Der Ort hatte und machte den Eindruck tiefster Verlassenheit. Auch von den Leuten, welche hier gewesen waren und die wir suchten, war keiner zu sehen.
Wir bemerkten, daß die Ochsen ausgespannt worden waren, um zu grasen; aber der Aufenthalt war kein langer gewesen. Man hatte Pozo de Sixto bald wieder verlassen, und zwar nach verschiedenen Richtungen, wie die Fährten deutlich erkennen ließen.
Lueles, ein kleiner Ort zwischen Tucuman und Catamarea: Die ersten Wohnstellen waren elende Ranchos, Lehmhütten aus Holzstäben gebaut und mit Erde bekleidet, ganz wie es im Lande Gebrauch ist; aber die Ecksäulen und Träger sind keine behauenen geraden Balken, sondern rohes Rundholz, knorrig und gebogen, wie es in der Wildniß aufgewachsen, ohne jede Zurichtung, als daß die Rinde abgeschält worden. Von breiten Schilfdächern überragt, machen diese Wohnungen einen ebenso armseligen Eindruck. Bald hinter den Hütten liegt die ziemlich große Kirche des Ortes, ein altes, jetzt verfallenes Gebäude aus Spanischer Zeit, ohne Thurm, aber mit einem hölzernen Glockenstuhl zur Seite, welcher mir dem Einsturz nahe schien. Schon lange Zeit hatte ich das hohe Haus aus meinem Fenster im Manantial gesehen, weil es sich beträchtlich über seine nächsten Umgebungen erhebt, aber ich hatte es auch für viel besser gehalten, als ich es nunmehr antraf; Schlingpflanzen umrankten oder zerbrachen sein Gemäuer, und die ehemals von Mönchen bewohnten Nebengebäude waren in nicht viel besseren Zustande, alles schien verlassen und im Innern zerstört zu sein. [S. 182/183]
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.09.05 16:11.