So, hier isser:
Auf du und du mit Winnetou
Eine schlechte Seminararbeit quittiert der Koblenzer Germanistik-Professor Dr. Helmut Schmiedt nicht, indem er seine Studenten skalpiert. Und im Hörsaal wird auch keine Friedenspfeife geraucht. Wohl aber fällt in seinen Vorlesungen schon einmal ein Zitat aus einem Winnetou-Roman. Schmiedt ist renommierter Karl-May-Forscher.
Text: Annette Herrmann Fotos: Annette Herrmann; Archiv
Häuptling der Karl-May-Forscher
Prof. Helmut Schmiedt hat sein Herz an Winnetou verloren - Koblenzer Germanist ergründet Erfolg des Abenteuerschriftstellers
Von unfähigen Studenten hat er noch nie einen Skalp genommen oder ihnen gar die Silberbüchse an die Stirn gedrückt. Zur Uni fährt er mit dem Zug - reitet nicht auf einem Pferd namens Iltschi. Und die Haare trägt er zwar schwarz, aber ohne Stirnband und dazu kurz geschoren statt häuptlingsschulterlang. Dennoch hat Helmut Schmiedt sein Herz an Winnetou verloren. Der Koblenzer Germanistikprofessor erforscht das Werk Karl Mays.
KOBLENZ. Mit Karl May verhält es sich ein wenig wie mit der "Bild"-Zeitung: Jeder schaut mal rein, keiner gibt es zu. Professor Dr. Helmut Schmiedt, Germanist an der Universität Koblenz, hat da weniger Scheu, kennt keinen akademischen Dünkel. Oder anders ausgedrückt: Er blickt gerne schon einmal keck und neugierig über den Tellerrand der allgemein anerkannt "hohen Literatur" hinweg.
Und wenn er dann von Karl May spricht, dann nimmt der Professor sogar Vokabeln wie "ein ziemlich genialer Erzähler" oder "hervorragender Schriftsteller" in den Mund. Die Augen des Germanisten beginnen zu leuchten, sprachlich gerät er ins Schwärmen.
Gesamtausgabe im Büro
Jeden einzelnen Roman des Radebeuler Abenteuerschriftstellers aus dem 19. Jahrhundert hat Schmiedt gelesen, vom "Schatz im Silbersee" bis zum "Ölprinz". Und das nicht nur in frühen Jugendjahren, in der Zeit also, in der Jungs sich mit Karl May auf die Reise in den Orient oder den Wilden Westen begeben. Nein, auch heute noch greift der 56-Jährige regelmäßig zu den Karl-May-Klassikern. In seinem Universitätsbüro auf dem Campus Metternich steht eine Gesamtausgabe im Bücherregal. Ein gewebtes Tuch mit dem Konterfei des Schriftstellers hängt gleich daneben an der Wand. Und hinter seinem Schreibtisch künden drei Fotografien, die Stationen aus dem Leben Karl Mays künstlerisch mit seinen Romanfiguren und den Requisiten seiner Helden in Verbindung bringen, vom Lieblingsforschungsobjekt des Germanisten.
Wer nun aber vermutet, in der Brust des Hochschullehrers pulsiere das Herz eines verkappten Möchtegern-Cowboys, wer glaubt, am Germanistikinstitut der Uni Koblenz werde auch schon einmal die Friedenspfeife geraucht oder Winnetous Silberbüchse finde sich bei Schmiedt über der heimischen Couch, der irrt.
Denn: Das Interesse Schmiedts am Häuptling der Apachen, an Old Surehand oder Old Shatterhand und all den anderen Helden, denen Karl May zur Unsterblichkeit verholfen hat, ist rein wissenschaftlicher Natur. Ganz unumwunden outet sich Schmiedt zwar als Karl-May-"Fan". Doch das nicht im herkömmlichen Sinne. Und längst hat Schmiedt natürlich auch die kindlich naive Herangehensweise an die May-Romane abgelegt, will nicht - wie vielleicht noch als kleiner Bub - am liebsten selbst mit Haut und (Indianer-)Haaren in die Rolle der Romanhelden schlüpfen.
Was ihn dagegen an Karl May, der einer einfachen Weberfamilie entsprungen ist und dessen Geschichten fasziniert und wissenschaftlich beschäftigt, ist das Geheimnis, das hinter dem bis heute andauernden Erfolg der Karl-May-Werke steckt. "Fast alle anderen Abenteuerschriftsteller aus der Zeit Karl Mays, also aus dem ausklingenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, sind von der Bildfläche verschwunden, längst in Vergessenheit geraten", weiß Schmiedt. Die Romane Karl Mays werden dagegen bis heute gelesen. Warum - das ist eine Frage, die Professor Helmut Schmiedt schon seit den späten 70er-Jahren beschäftigte.
Zufällig auf Thema gestoßen
Wobei es der Zufall war, der ihn auf dieses Thema brachte. 1977 suchte der Bonner Student Helmut Schmiedt nach einem Thema für seine Examensarbeit. Beim Streunen durch die Seminarbibliothek stieß Schmiedt dabei auf eine Doktorarbeit über Karl May. Schmiedt blätterte ein wenig in dem Werk, war umgehend vom May-Virus infiziert und legte seine Lehramtsprüfung einige Monate später mit einer Examensarbeit ab, die den Titel trug: "Karl May: Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers".
"Mein Professor, der die Arbeit betreute, hat zunächst schon etwas verwundert reagiert", erinnert sich Schmiedt. Kurz zuvor hatte Schmiedt bei dem gleichen Dozenten eine Hauptseminararbeit über Goethes Werther geschrieben. "Und zunächst versuchte der Professor doch vehement, mich dazu zu bewegen, diese Arbeit einfach zu einer Examensarbeit auszuarbeiten." Doch Schmiedt beharrte auf Karl May. Erfolgreich - nicht nur, was den Ausgang der eigenen Prüfung anbelangt. "15 Jahre später", erzählt Schmiedt schmunzelnd, "hat dann eben dieser Bonner Professor selbst einen Aufsatz über Karl May verfasst. Folglich fand er das Thema wohl interessant." Ebenso ergeht es etlichen weiteren Germanisten, die Karl May heutzutage längst nicht mehr unbeachtet im Bücherregal verstauben lassen und als vermeintlich seichte Literatur milde belächeln. Einige von ihnen sind in der Karl-May-Gesellschaft, einer literarischen Gesellschaft, vertreten, deren Zweiter Vorsitzender Helmut Schmiedt auch ist.
Neben Hochschulgermanisten und Deutschlehrern tummeln sich hier allerdings auch Anhänger des Schriftstellers, die dessen Werk allein durch die rosarote Brille betrachtet wissen wollen und jeden Makel weit von ihrem Idol fernhalten möchten. Bei Veröffentlichungen gebe es da auch schon einmal Zwist, verrät Schmiedt. "Kritische Publikationen über Karl May sind innerhalb der Gesellschaft nicht jedermanns Sache. Manche sind mit solchen Veröffentlichungen nicht so glücklich", weiß der Germanist, der mit solchen Anhängern jedoch wenig Mitleid hegt. Schmiedt: "Eine solch einseitige Betrachtung kann nicht Sinn der Übung sein." In vielen Dingen ist Schmiedt zwar so voll des Lobes über Karl May. "Spannungsbögen zu formen, das hat er einfach drauf", schwärmt der Professor.
"Genial" im Auswege finden
Und Abenteuergeschichten zu schreiben, das bekomme May in den verschiedensten Facetten dieses Genres perfekt hin. Geradezu in einer "genialen Art und Weise" und höchster Variationenkunst sei es May auch gelungen, seine Helden immer wieder aus aussichtslosen Situationen zu befreien - sei es nun im Wilden Westen, im Urwald, in der Wüste, im Orient oder auf einem Schif. Schmiedt: "Der scheinbare Underdog kommt zum Erfolg." Und das mit einer Plastizität der Schilderungen, die im Genre des Abenteuerromans ihres Gleichen suche.
Auf der anderen Seite verschließt Schmiedt seine Augen aber nicht, wenn es auch dunkle Facetten an Karl May zu entdecken gibt. So arbeitet der Professor derzeit an einer Biografie über May, die 2012 zum 100. Todestag des Autors erscheinen soll. Und hat dabei bereits herausgefunden: May konnte wohl menschlich ein ziemliches Ekel sein.
Überhaupt, findet Schmiedt, ist der Autor selbst ebenso interessant wie sein Werk. "An der Persönlichkeit Mays gibt es viele Aspekte zu entdecken, die bis dato eher unbekannt waren", ist sich der Germanist sicher. Und auch die Romane bieten für den Professor noch auf lange Sicht ausreichend Stoff, um sich wissenschaftlich mit ihnen zu beschäftigen.
Und sollte die wissenschaftliche Forschungsquelle irgendwann doch versiegt sein, dann macht das dem Koblenzer Professor auch keine Angst. Dann wird das zu ergründende Literatenfeld der Unterhaltungskünstler einfach ausgedehnt. Der Anfang ist gemacht. Noch im Juni erscheint im Aisthesis-Verlag die neue Veröffentlichung von Helmut Schmiedt. Titel: "Dr. Mabuse, Winnetou & Co. 13 Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur".
Was Goethe und May teilen
Schmiedt zitiert in Vorlesungen in einem Atemzug Passagen von beiden
KOBLENZ. Der eine gilt als Trivial-Autor, der andere als der größte deutsche Dichter und Denker schlechthin. Dennoch haben Karl May und Johann Wolfgang von Goethe viel gemein, behauptet Prof. Schmiedt.
"Unter didaktischen Aspekten bilden Goethe und May - und nicht etwa Goethe und Schiller - ein nahezu unschlagbares Gespann", so der Wissenschaftler und leidenschaftliche Karl-May-Forscher.
Wenn Schmiedt in einer Lehrveranstaltung grundlegende literaturwissenschaftliche Sachverhalte darlegen will, dann tut er dies deshalb meist anhand von Werken Goethes und Mays. "Mit durchschlagendem Erfolg", wie der Professor erzählt.
Ein Beispiel: Wenn Schmiedt seine Studenten davon überzeugen möchte, wie sehr die Texte der Bibel Einfluss auf die Literatur frührer Jahrhunderte ausgeübt und wie selbstverständlich die Autoren damit gerechnet haben, dass ihre Leser die Spuren auch mühelos entschlüsseln können, dann tut er dies gern, indem er in einem Atemzug Passagen aus Mays Abenteurromanen und solche aus einem Goethe-Klassiker zitiert.
Schmiedt: "Wenn man diesen Gedanken nur mit Karl-May-Belegen illustriert, kommt er nicht gut an, denn viele Zuhörer denken spontan, das sei ein wohl doch etwas skurriler Fall." Wenn er auf der anderen Seite nur mit Goethe-Exempeln arbeite, sei die Wirkung auch nicht günstiger. "Denn das Auditorium ist - nicht ganz unrecht - überzeugt, dass sich mit Goethe schlechthin alles belegen lässt."
Die Kombination von beidem aber lässt seine Studenten dann aufhorchen: "Wenn man Goethe und May zusammen nimmt und etwa darauf hinweist, dass Werther Gesprächspartner mit Worten Jesu traktiert und dass Old Shatterhand nicht zufällig gleich drei Kreuze an Winnetous Grab errichten ließ, dann kann man einigermaßen sicher sein, dass ob dieser Beispielkombination die Botschaft ankommt." Denn: Wenn etwas bei Goethe und May zu finden ist, dann muss es sich wohl um etwas Wichtiges handeln, dann wird es ernst genommen und prägt sich ein - davon ist Schmiedt überzeugt.
In der Mitte ein Bild von Schmiedt:
Schon als kleiner Bub hatten es Professor Dr. Helmut Schmiedt die Abenteuer von Karl May angetan. Die ersten Literaturschätze aus der Jugendzeit hat er bis heute aufgehoben. Während Schmiedt in ganz jungen Jahren gerne selbst mit Haut- und Indianerhaaren etwa in die Rolle von Trapper Schneiergabel geschlüpft wäre, ist sein Interesse an May heute literaturwissenschaftlicher Natur.
Dann links 2 Bilder:
Zwei, die wohl jeder kennt: Winnetou (Pierre Briece) und Old Shatterhand (Lex Barker). Die Filme mit den beiden wurden zur erfolgreichsten deutschen Filmserie nach dem Zweiten Weltkrieg - und Autor Karl May prägte so bis in unsere Zeit ein Bild von Indianern und Cowboys, das in Wahrheit ganz anders aussah.
Rechts ein Bild von Karl May:
Eines von 14 Kindern einer Weberfamilie, erfindungsreich in jeder Beziehung, unglaublich produktiv - und manchmal ein ziemliches Ekel: Karl May ist eine schillernde Figur.
Unten ein Wandbild:
Wandschmuck im Büro eines Germanistik-Professors: Eine Goethe-Büste sucht man bei Prof. Schmiedt vergeblich. Dafür gibt"s ein gewebtes Tuch, das das Konterfei von Karl May zeigt.
Rhein-Zeitung - Ausgabe Mittelmosel vom 18.06.2007, Seite 12
(in einigen Tagen ist der Artikel auch frei verfügbar.)
andrea
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.06.07 08:16.