Eine Pilgerreise in das Morgenland

Ohne die Freunde des Spätwerks wieder brüskieren zu wollen: wie ist denn die geschätzte Meinung zu diesem Gedichtzyklus?

Bernd Arlinghaus hat sich am vergangenem Donnerstag im Leipziger Freundeskreis dieses vernächlässigten Themas angenommen (er hat ohnehin ein Faible für Mays Dicht- und Dramenkunst) - und da hab ich mich erstmals intensiver damit beschäftigt.

ta

Mir gefallen diese – in Band 81 enthaltenen – Gedichte.

Mein Lieblingsgedicht, was Karl May anlangt (seit ca. 35 Jahren), „Ich fragte zu den Sternen“, ist enthalten, Hoffnung auf seelisches Wachstum in der Ferne finden wir in „Abschied von der Heimat“ und „Südwärts“, gewisse Reminiszenzen an Storms „Immensee“ in „Am Vierwaldstädter See“, bei „Auf Rigi-Kulm“ musste ich, insbesondere in den Strophen 2 und 3, an die Herren Abstrahierer und Zerpflücker denken (man muß, zum Beispiel, kein Theologe sein, um Wohlgschafts Buch zu verstehen und schön zu finden), „Am Gotthard“ erwähnt den allgegenwärtigen Versucher, „San Salvatore“ und „Genua“ zeugen von milder Abgeklärtheit, auch das inhaltlich einigermaßen erschreckende „Genua“ kommt ja ganz unaufgeregt und unpathetisch daher.

Sie sind so übel nicht, die Mayschen Gedichte, und auch inhaltlich interessant.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 18.09.06 21:06.

Ob dem "San Salvatore"-Gedicht eine wahre Begebenheit zu Grunde liegt? So wie Meister May sich da aufregt, muss ihm ja wirklich jemand auf den Schlips getreten sein. "Normalerweise" hätte er doch mit der oberlehrerhaften Bemerkung im Gästebuch schließen können, aber sein Vandalismus im Anschluss spricht für echte Kränkung.

ta

Du scheinst ihn ganz gut zu kennen ...



Aber ich finde, richtig aufregen tut er sich gar nicht (schlechtes Deutsch, ich weiß), da ist schon diese Portion Abgeklärtheit dabei, wie in dem ganzen Zyklus.

Aber ich meine auch aus den Zeilen herauszuschmecken, daß der Sache eine wahre Begebenheit zugrunde liegt. Es wirkt so echt ...

Na ich weiß nicht...
Handlung ist doch, dass er in die Kirche kommt und dort das Gästebuch sieht, dessen belanglose Einträge ihn stören. Er schreibt in "doppelt großen Lettern" eine Mahnung hinein und droht den anderen Einschreibern mit dem Jüngsten Gericht, sollten diese weiterhin Nichtigkeiten eintragen.
Dann spaziert er fort und kommt nach knapp zwei Stunden zurück, um das Gästebuch zu kontrollieren. Er findet den albernen Eintrag dieser bunten Schar und reißt die Seite einfach raus.

Wo ist DAS denn bitte abgeklärt?

ta

Ja, so sind die Empfindungen verschieden ...

Ich finde, das merkt der vielzitierte Blinde mit dem Krückstock, daß er die ganze Geschichte wie sich selber nicht so ganz ernst nimmt in dem Gedicht.

Doppelt große Lettern usw. können auch durchaus eine gewisse (Selbst-)Ironie beinhalten.

Ich würde nicht sagen, er kehrt zurück, um zu kontrollieren, das ist eher typisch (weibliche) unwohlwollende Interpretation.

Und Seiten rausreißen kann man auch ganz unemotional. Man nimmt sich einfach in aller Seelenruhe das Recht dazu. Ich würde es auch nicht Vandalismus nennen, sondern, in dem Fall, das Recht des Klügeren.



(Händereib' ...)

Ich nenne es Vandalismus. ist ja nicht SEIN Gästebuch und er kann nicht einfach in fremden Büchern herumreißen. Gerade er, der er sich ja dauernd über Bearbeitungen aufregt.
Außerdem finde ich es unglaublich anmaßend, wenn er arg- und harmlosen Touristen mit dem Jüngsten Gericht droht. hallo? Kommt man dafür, dass man "Ich war hier. Und meine Frau auch." in Gästebücher schreibt schon ins Fegefeuer?
Neee... Abgeklärt wäre, wenn er traurig den Kopf schüttelt und seines Weges geht. Tut er aber nicht. Tut er eigentlich nie.

ta

Quote

er kann nicht einfach in fremden Büchern herumreißen

Natürlich kann er, hat er doch gezeigt ...

Würd' ich auch machen, wenn's denn sein müßte ... Watt mutt datt mutt.

Quote

Gerade er, der er sich ja dauernd über Bearbeitungen aufregt.

Es gibt gute Bearbeitungen und schlechte Bearbeitungen. Seine war eine gute.

Quote

arg- und harmlosen Touristen mit dem Jüngsten Gericht droht

Muß ich nochmal nachlesen. Ich gehe schon mal von Ironie aus.

Quote

Kommt man dafür, dass man "Ich war hier. Und meine Frau auch." in Gästebücher schreibt schon ins Fegefeuer

Ja. Und mit Recht.

Quote

Tut er aber nicht. Tut er eigentlich nie.

Nicht immer. Aber immer öfter.

Mein Sohn, für einen erklärten Misanthropen räumst Du diesem bösen, alten Mann aber eine Menge verständnisvolle Nachsicht ein.

Quote

Mein Sohn

(schmunzelt sich zwei bis zwölf)

Das find' ich morgen noch gut ...

Quote

erklärten Misanthropen

Partiell, Schatzi, partiell. Immer schön differenzieren.

Quote

bösen, alten Mann

s.o.

Quote

eine Menge verständnisvolle Nachsicht

Was Wunder. Von allen Spiegeln, denen man so begegnet, immer noch der mit den meisten Übereinstimmungen.

Das interessiert mich jetzt, wo ist denn dieses San Salvatore- Gedicht? Ist es lang? Kann man (Ihr es hierherschreiben?

Ich zitier' Dir ja alles rauf und runter, was im Netz ist, aber ausgerechnet dieses Gedicht scheint nicht im Netz zu sein. Und jetzt das Buch zu holen und es einzutippen, soweit geht die Freundschaft denn doch wieder nicht.



Aber Du wirst doch wohl Band 81 haben, oder ? Da steht es drin.

Das sind zehn Strophen mit je acht Zeilen.


Die ersten vier sind nicht ungewöhnlich; darin beschreibt er das Kirchlein "San Salvatore" und seine Wirkung auf ihn.

Dann kommt Strophe 5.

Schon will ich meine Hände falten.
Doch - - - ist es Wahrheit, ist es Trug?
Darf ich es wohl für möglich halten?
Da liegt - - da liegt ein - - "Fremdenbuch"!
Ich seh es vor mir aufgeschlagen
Und les das letztbeschrieb'ne Blatt:
"Reservelieutenant Hagen",
"Frau Bankjeh Cohn aus Hermannstadt".

Wie still ich vor dem Buche stehe,
Wohl eine ganze, ganze Zeit!
Mir thuts um diese Menschen wehe
Und um den heilgen Ort so leid
Dann denke ich bei mir: "Ihr Beide
Soll wohl die letzten Sünder sein!"
Und trage auf die nächste Seite
Mit doppelt großen Lettern ein:

"Gelobt seist du, oh Salvatore!
Es sei auf deinem Heiligthum
Hier auf und unter diesem Chore
Nur deinem Namen Preis und Ruhm.
Und ist noch einer so vermessen
Hier zu "verewigen" sein Nichts,
So sei sein Name einst vergessen
Dafür am Tage des Gerichts!"

Zwei Stunden sind wohl kaum verstrichen
Als nochmal ich zum Kirchlein geh.
Und wieder vor den öffentlichen
Entwürdigenden Blättern steh.
Darf ich wohl meinem Auge trauen?
Ich find mich schon nicht mehr zuletzt:
Die Strophe ist in sehr genauen
Gereimten Versen fortgesetzt:

"Der allerdümmste Kerl auf Erden
Ist der, der diesen Quatsch geschmiert:
Er wird bald reif zum Tollhaus werden
Und mit dem Rohrstock auskuriert."
Dann folgt ein halbes Dutzend Namen,
Doch aber ich vrschweig sie gern,
Darunter der von zwei Madamen
Und einem hochstudirten Herrn.

Ich will nichts sagen, will nichts denken
Und reiße nur das Blatt heraus;
Vorüber an den leeren Bänken
Verlasse ich das Gotteshaus
Wie konnte man mit diesem Buche
Oh Salvatore, dich entweihn!
Wer widmete es dir zum Fluche?
Wer mag der fromme Herr wohl sein?



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.06 14:12.

Ich hab die Sylvia eben viel lieber als Du. ich hab es ihr abgeschrieben.

Meine Einrückungen hat mir das Forum wieder zurechtgerückt. Aber die sind erstmal für den Inhalt auch nicht so wichtig.
Besucht hat er den Ort übrigens am 1. April 1899.

ta



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.06 14:14.

"dessen Wirkung" statt "seine Wirkung" würde besser klingen ...



Glaubt ihr kein Wort. Scanner oder sonstiges Teufelszeug.





1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.06 14:15.

Scannen geht nicht. Der Scanner käme mit meinen reingekritzelten Bleistiftanmerkungen nicht klar.
(yes)








(Und bevor die Bibliomanen wieder Krämpfe bekommen: Wenn man Bernd Arlinghaus zu einem Vortrag einlädt, erhält man ein Script. Für diesen Service bin ich bei seinen Vorträgen mehr als dankbar. und auf einem Script darf man herumkritzeln. Jawollja.)



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.06 14:48.

Quote

erhält man ein Script gemailt

(ich hab' das fehlende Wort mal ergänzt)

Ach so ... und aus der Mail kann man es dann kopieren

Hallo Jenny

Ich denke, daß bei Karl May mehr als nur einfach ein Gästebuch hinter seinem Gedicht steht. Es auf das Wort einzuschränken erscheint mir zu einfach.
Ich verstehe ihn so: Ein Gotteshaus ist zur Ehre Gottes da. Wir betreten es, um hinter ihn zurückzutreten.
Und dann sind wir doch noch so wichtig, daß wir es nötig haben, unsere Namen im Haus Gottes zu verewigen. Mir fällt das Beispiel der Frau aus meiner Heimatgemeinde ein, die immer zwei Minuten nach Beginn der Messe die Kirche mit klackenden Schritten betritt, um dann bis ganz nach vorne durch zu gehen, nach rechts und links zu grüßen und sich in die erste Reihe zu zwängen. "Hauptsache jeder hat gesehen, daß ich da bin".
Ich kann ihn sehr gut verstehen.

Gruß
Reimund



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.09.06 05:56.

Morgen beinand!

Danke Jenny! Es gibt keinen Smiley dafür für sowas..

Nein, den Band 81 habe ich nicht. Noch nicht. Eilt ja nicht, irgendwann läuft er mir schon noch über den Weg.

Wo ist diese Kirche San Salvatore?

Interessant finde ich das Gedicht insofern, weil ich das nachvollziehen kann.
Dieses hülsenhafte aufgeplusterte, völlig langweilige und visistenkartenhafte: ich - ICH! Herr Oberdümpelgescheidmeier samt Anhangsgattin - war auch da kann mich auch sowas von auf die Palme bringen. Ich werde schon sauer, wenn ich das Gedicht grad lese.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.09.06 08:02.

Quote

Dieses hülsenhafte aufgeplusterte, völlig langweilige und visistenkartenhafte: ich - ICH! Herr Oberdümpelgescheidmeier samt Anhangsgattin - war auch da kann mich auch sowas von auf die Palme bringen. Ich werde schon sauer, wenn ich das Gedicht grad lese.

Dankeschön.

Geht Dir so was dann, wie mir, manchmal auch in Publikationen aus der Karl-May-Szene auf den Senkel ? Diese gebetsmühlenartig wiederkehrenden Höflichkeitsfloskeln und Worthülsen, „Herr x hatte uns freundlicherweise …“, der umtriebige Herr Sowieso hatte wie immer aufs angenehmste …“, „liessen das und das zu einem unvergesslichen Erlebnis werden, das noch lange …“, „alle Anwesenden dankbar, mit herzlichem Applaus …“ usw. usf., ich kann es nicht mehr hören. Und wenn dann mal einer da nicht mitspielt, sich solcher Einheits-Floskelei verweigert und einfach mal sagt, was seines Erachtens Sache ist, einfach nur ehrlich und rundheraus, dann kriegt er den Stempel des Buhmanns oder auch Banausen verpaßt, man störe doch schließlich bitte niemandes Friede-Freude-Eierkuchen-Einerlei und selbstbeweihräuchernde, heilige Einfalt. Und genau um solcherlei geht es auch in dem Gedicht von Karl May.

Grüezi !





1-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.09.06 08:57.